Nebelschwaden ziehen auf. Die beindruckende Schlucht, die wir anfangs noch sehen konnten, verschwindet in einem wabernden Grau. Die Schafe, die oben auf den Felsen grasen, kümmert das nicht, ihnen ist es egal, ob die Sonne scheint oder der Wolkennebel jegliche Aussicht verschluckt. Aber mir ist es nicht egal. Wo ist denn nun das tolle Irland, das sich auf Instagram mit strahlendem Himmel und bombastischen Ausblicken präsentiert?
Hier jedenfalls gerade nicht. Ich bin frustriert, nicht nur wegen der fehlenden Aussicht, sondern auch, weil ich gar keine Fotos machen kann. Natürlich weiß ich, dass sich das Wetter hier teilweise sehr schnell ändert, aber anscheinend ist durch meine Reiseziel-Recherche ein inneres Irland-Bild in mir entstanden, das sich in Erwartungen manifestiert hat. Und jetzt passt die Realität nicht dazu.
Aber da wir nun mal da sind, laufen wir den kleinen Trampelpfad entlang, der sich den wiesenbewachsenen Hang emporwindet und in der Ferne im Nebel verschwindet. Die Schafe, an denen wir vorbeikommen, schauen uns neugierig an. Oder sind sie verwundert, warum wir sie hier auf ihrer Wiese stören? Ab und an schallt ein dumpfes „mähhh“ durch den Dunst und nach einer Weile ist der Pfad kaum noch zu erkennen.
Wir können nur noch unserem Gefühl folgen und steuern die Bergspitze an. Nach vielleicht einer halben Stunde stehen wir am Rand der Klippe, doch mehr als das ist nicht zu erkennen. Immer noch hüllt der Nebel alles in ein unfreundliches Grau. Wir suchen uns ein sicheres Plätzchen auf dem Boden, frei von Schafskot, und setzen uns dorthin. Und warten. Und warten.
Wir haben tatsächlich Glück, nach einer Weile frischt der Wind auf und weht die Wolken vom Meer aufs Land, und wir bekommen eine beeindruckende Aussicht mit dunkelblauem Meer, hellblauem Himmel, grünbraunen Felsen und weißschäumender Gischt. Fotos mache ich jetzt doch keine, sondern genieße einfach die Ruhe und den Ausblick.
Es dauert noch ein paar Tage, bis ich die inneren Bilder loslassen kann und Irland so nehme, wie es ist: mit strahlendem Sonnenschein und freundlichen Schafen, aber auch mit Regen, Wind und schwarzen Köddeln auf dem Boden. Hier gibt es keine Schönwetterfotos, sondern nur das echte Leben.